Anfang des Jahres ereignete sich in Griechenland das schwerste Zugunglück in der Geschichte des Landes, als in der Nacht zum 01.03.2023 bei voller Fahrt ein Personen- und ein Güterzug zusammenstießen. Mindestens 46 Menschen starben. Kein Wunder also, dass die Schuldfrage gestellt wurde.
Gerade als Interne Revision werden wir unternehmensintern auch manchmal beauftragt, den genauen Hergang zu ermitteln und die Schuldfrage zu klären.
Bitte lassen Sie sich nicht dazu verleiten, den einfachen Weg zu gehen und vorschnell auf menschliches Versagen abzustellen. Der vordergründig Schuldige in diesem Fall wäre der Stationsvorsteher, dem bei der manuell vorzunehmenden Weichenstellung eventuell ein Fehler unterlaufen ist.
Stellen Sie stattdessen die unbequemen Fragen.
Blicken Sie gerade bei Schadenfällen unbedingt immer auf die Kontextbedingungen und fragen Sie sich, wie die von Ihnen ergründeten Kontextbedingungen dazu beigetragen haben könnten, den Schadenfall zu ermöglichen oder zu verhindern.
In diesem Fall, gab es jahrelange Missstände:
- Sparmaßnahmen im gesamten Land seit der Finanzmarktkrise in 2008
- Aufgrund der Armut wurden in 2011 freiliegende Kupferkabel gestohlen.
- Seit 2011 funktionierte daher das elektronische Leitsystem nicht mehr, das die Lokführer gewarnt oder sogar zur automatischen Abschaltung der Züge geführt hätte.
- eine Runderneuerung des gesamten Systems wurde seit 2017 verzögert
Aus welchen möglicherweise sogar nachvollziehbaren Gründen ließ der griechische Staat bzw. die griechische Bahn seit 12 Jahren zu, dass ein manueller Eingriff nötig war und die Folgen eines manueller Fehler nicht durch die Technik verhindert wurden?
Hier bestehen definitiv deutliche Lücken im IKS!
Wer ist für das IKS zuständig?
Welche Ansprüche wurden an das IKS gestellt?
Wer hat die bis zur Instandsetzung des elektronischen Leitsystems bestehenden Schwächen akzeptiert und aus welchen Gründen?
Ja, man kommt unweigerlich früher oder später zu Themen, die mit den Werten und der Organisationskultur zu tun haben.
Diese gilt es anzugehen.
Ich gebe zu, dass das nicht einfach ist.
Das sollte uns aber nicht davon abhalten, diese Fragen zu stellen.
Und ich finde es auch nicht schlimm, wenn die Interne Revision an Grenzen stößt.
Was sie in jedem Fall leisten kann, ist eine Darstellung des Kontexts und der schwierigen Gemengelage, einschließlich aller verschiedenen Perspektiven. Das ist auch eine Form von Objektivität, die den Diskussionsprozess versachlichen und verbessern kann.
Über Veränderungen der Rahmenbedingungen, kann sich dann auch die Organisationskultur positiv verändern.
Vielen Dank, dass Sie zu einer besseren Welt beitragen!
Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Zuhören und erfolgreiche Prüfungsprozesse!